Über das Projekt

Auseinandersetzungen um ›das Soziale‹

Die Aus­ge­stal­tung sozi­al­po­li­ti­scher Regu­lie­run­gen ist ein zen­tra­les Kon­flikt­feld unse­rer Zeit. Jüngste Kri­sen wie die Corona-Pan­de­mie, stei­gende Infla­tion und das Erstar­ken natio­na­lis­ti­scher Kräfte haben dies auch in Deutsch­land und Europa deut­lich gemacht. Es stel­len sich unter ande­rem fol­gende kon­krete Fra­gen: Wer hat Anspruch auf wel­che und wie­viel Unter­stüt­zung vom Staat und zu wel­chen Bedin­gun­gen? Wer hat beson­dere Hilfe ver­dient und wer wird als Bedro­hung wahr­ge­nom­men? Wel­che Rolle spielt etwa die Lohn­ar­beit, die Fami­lie, das Alter, die Gesund­heit oder der Auf­ent­halts­sta­tus? Oder all­ge­mei­ner: Wie wird soziale Repro­duk­tion und Erwerbs­tä­tig­keit orga­ni­siert? Das Tun des Sozi­al­staats rich­tet sich dabei nicht auf alle Sub­jekte glei­cher­ma­ßen. Es setzt Men­schen in unter­schied­li­che Ver­hält­nisse zuein­an­der, zu sich selbst, zum Staat und zum (glo­ba­len) Arbeits­markt. Sozial(staats)regime prä­gen All­tags­kul­tu­ren und Vor­stel­lun­gen von Gesell­schaft, Wirt­schaft und Indi­vi­duum grund­le­gend. Gestal­tung, Prak­ti­ken und Insti­tu­tio­nen des Sozi­al­staats sind Ergeb­nis his­to­ri­scher Kämpfe und auch heute Bezugs­punkt sozia­ler Bewegungen.

Die DFG Emmy Noe­ther-Nach­wuchs­gruppe Aus­ein­an­der­set­zun­gen um ›das Soziale‹ ana­ly­siert aktu­elle Trans­for­ma­tio­nen sozia­ler Siche­rungs­sys­teme in Städ­ten des Glo­ba­len Nor­dens. Sie arbei­tet eng mit Basis­grup­pen pre­kär beschäf­tig­ter und erwerbs­lo­ser Per­so­nen zusam­men, die sich mehr­spra­chig und über Sta­tus­grup­pen sowie Natio­na­li­tä­ten hin­weg organisieren. 

Die erste Pro­jekt­phase (2022–2026) besteht aus drei Teil­pro­jek­ten in Ber­lin, Olden­burg und Frank­furt (Main). In einer zwei­ten Phase (2026–2028) wird eine trans­na­tio­nale, ver­glei­chende Per­spek­tive mit zwei Teil­pro­jek­ten in Groß­bri­tan­nien und den USA eröff­net. Die For­schungs­gruppe ist am Insti­tut für Empi­ri­sche Kul­tur­wis­sen­schaft und Euro­päi­sche Eth­no­lo­gie der Lud­wig-Maxi­mi­li­ans-Uni­ver­si­tät Mün­chen ange­sie­delt und wird von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft finanziert.

Hin zu einer bewegungsbasierten ethnographischen Sozial(staats)regimeanalyse

Eine wach­sende Zahl von wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten nutzt eth­no­gra­fi­sche Metho­den, um gesell­schaft­li­che Macht­ver­hält­nisse zu ana­ly­sie­ren und lokale sowie glo­bale Aus­ein­an­der­set­zun­gen über diese Ver­hält­nisse nach­zu­zeich­nen. Kom­plexe For­schungs­fel­der wie Euro­päi­sie­rungs­pro­zesse, Grenz­re­gime, städ­ti­sche Ethik, Für­sorge und Pre­ka­ri­tät rücken damit in den Fokus. Sozial(staats)regime wur­den bis­her jedoch oft aus­ge­spart, obwohl sie in viel­fäl­ti­ger Weise Gesell­schaft und All­tags­wel­ten prägen. 

Unser For­schungs­pro­jekt möchte die Sozial(staats)regimeanalyse als kon­zep­tio­nel­les Werk­zeug ent­wi­ckeln, um zu beschrei­ben, wie ‚das Soziale‘ zwi­schen ver­schie­de­nen Poli­tik­fel­dern (Sozialstaat/Familie/Arbeit/Migration), sozia­len Bewe­gun­gen und all­täg­li­chen Hand­lun­gen sozia­ler Repro­duk­tion in unse­ren For­schungs­fel­dern kon­ti­nu­ier­lich ver­än­dert und (wieder-)hergestellt wird. Dabei sehen wir Kon­flikte sowohl als zen­trale Antriebs­mo­mente wie auch als metho­do­lo­gi­sches Instru­ment. Durch unse­ren bewe­gungs­ba­sier­ten eth­no­gra­fi­schen Ansatz wol­len wir neue Reflek­ti­ons­an­sätze ermög­li­chen, die sowohl für Soziale Bewe­gun­gen wie wis­sen­schaft­li­che Ana­ly­sen rele­vant sind. Dabei füh­len wir uns den Grund­sät­zen der gegen­sei­ti­gen Hilfe, Posi­tio­niert­heit, Ver­ant­wort­lich­keit und Kopro­duk­tion von Wis­sen verpflichtet. 

Teilprojekte und Partner*innen

Die For­schungs­grup­pen­lei­te­rin Dr. Lisa Ried­ner arbei­tet mit der Erwerbs­lo­sen-Initia­tive BASTA! in Ber­lin. Ihr Inter­esse gilt u.a. Aus­ein­an­der­set­zun­gen um Sozi­al­hil­fe­be­trug und um Familienwerte.

Über Basta
BASTA! wird gemacht von Erwerbs­lo­sen, Beschäf­tig­ten mit gerin­gem Ein­kom­men und Stu­die­ren­den mit wenig Geld. BASTA! öff­net mehr­mals wöchent­lich ein Bera­tungs­café über am Bür­ger­geld anhän­gige Fra­gen, führt Kam­pa­gnen und Schu­lun­gen durch. Die Gruppe spricht vor allem Ita­lie­nisch, Grie­chisch, Eng­lisch, und Deutsch.
Mehr Infos: https://bastaberlin.de/

A. Valen­tina Moraru beschäf­tigt sich mit Migra­tion, Moral und Dif­fe­ren­zie­rungs­pro­zes­sen im Kon­text von pre­kä­ren Arbeits­märk­ten in Olden­burg. Ihr Pro­jekt­part­ner ist die Arbeits­lo­sen­selbst­hilfe Olden­burg, auch ALSO genannt.

Über ALSO
Die Arbeits­lo­sen­selbst­hilfe Olden­burg zählt als eine der ältes­ten unab­hän­gi­gen Erwerbs­lo­sen­in­itia­ti­ven in Deutsch­land. Sie beschäf­tigt sich seit den 80er Jah­ren mit Bera­tung der Per­so­nen, die sich mit ver­schie­de­nen Behör­den aus­ein­an­der­set­zen müs­sen und ver­sucht einen Ort der Gemein­schaft zu schaf­fen. Sie füh­ren diese Tätig­kei­ten in meh­re­ren Spra­chen aus und an meh­re­ren Ort­schaf­ten in der Gegend von Olden­burg.
Mehr Infos: https://www.also-zentrum.de/

Tim Her­bold beschäf­tigt sich mit den Inter­ak­tio­nen zwi­schen Migrant*innen, Basis­or­ga­ni­sa­tio­nen, öffent­li­chen Insti­tu­tio­nen und Lokalpolitiker*innen. Er arbei­tet zusam­men mit Pro­ject Shel­ter in Frank­furt am Main. 

Über Pro­ject Shel­ter
Project.Shelter ist Teil einer poli­ti­schen Bewe­gung, die sich für mehr Soli­da­ri­tät und Teil­habe für alle Stadtbewohner*innen ein­setzt. Wir sind eine Gruppe von Men­schen mit und ohne Flucht- oder Migra­ti­ons­ge­schichte, die auf basis­de­mo­kra­ti­sche Weise daran arbei­tet, die Rechte obdach­lo­ser Migrant*innen und Geflüch­te­ter in Frankfurt/Main zu erkämp­fen bzw. zu schüt­zen und die Erfül­lung ihrer Bedürf­nisse zu garan­tie­ren. Dazu gehört zual­ler­erst die Ver­mitt­lung von pri­va­tem Wohn­raum, aber auch die Bereit­stel­lung von Fahr­kar­ten für den öffent­li­chen Stadt­ver­kehr, sowie von Fahr­rä­dern, die Finan­zie­rung von Lebens­mit­teln, medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung und Klei­dung sowie sprach­li­che Unter­stüt­zung und Über­set­zun­gen bei behörd­li­chen Ange­le­gen­hei­ten. Nicht­zu­letzt bie­tet das Pro­jekt eine Anlauf­stelle für das Zusam­men­sein, den gegen­sei­ti­gen Aus­tausch und gemein­schaft­li­che Akti­vi­tä­ten von Betei­lig­ten und Inter­es­sier­ten. Es ermög­licht Migrant*innen und ande­ren, sich zu orga­ni­sie­ren, gemein­same For­de­run­gen zu ent­wi­ckeln und diese in Form von Aktio­nen und Demons­tra­tio­nen nach außen zu tra­gen. Auf diese Weise sol­len unter ande­rem Hier­ar­chien zwi­schen Men­schen mit ange­bo­re­nen Pri­vi­le­gien und den­je­ni­gen, die qua Aus­weis­pa­pier benach­tei­ligt sind erkannt und abge­baut wer­den.
Mehr Info: https://projectshelterde.noblogs.org/arbeitsweise/